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Pflegeversicherung

Wenn das Geld für die Pflege nicht reicht

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Ein neues Gesetz entlastet die meisten Angehörigen

Bis 2019 wurden Kinder vom Sozialamt zu Zahlungen aufgefordert, wenn Mutter oder Vater im Pflegeheim waren. Für viele Kinder von pflegebedürftigen Eltern wird sich das Problem eines Pflichtbeitrages zu den Kosten der Pflege nun nicht mehr stellen. Zum 1. Januar 2020 ist ein Gesetz in Kraft getreten, wonach die Sozialämter eine unterhaltspflichtige Person erst ab einem Brutto-Jahreseinkommen ab 100.000 Euro zu den Kosten heranziehen können. Zum Einkommen zählen alle Einkünfte also z.B. auch Einnahmen aus Vermietung oder Kapitaleinkünfte. Auch auf das Vermögen eines Angehörigen kann aufgrund der neuen Regelung nicht zugegriffen werden, wenn das Einkommen unter 100.000 Euro liegt.

Wichtig: Diese Regelung betrifft sowohl die Heranziehung von Kindern für pflegebedürftige Eltern als auch umgekehrt die Heranziehung von Eltern für die Pflege eines erwachsenen Kindes. Zur Begründung für die neue Regelung sagte Bundessozialminister Hubertus Heil, Eltern und Kinder seien durch die Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen oft stark belastet und trügen eine große Verantwortung. „Wir nehmen ihnen jetzt die Angst vor unkalkulierbaren finanziellen Forderungen.“

Nach dem neuen Gesetz sind außerdem Menschen von Zuzahlungen befreit, deren Angehörige aufgrund einer Behinderung Anspruch auf eine sogenannte Eingliederungshilfe haben – etwa auf finanzielle Hilfe für den Umbau einer barrierefreien Wohnung oder auf einen Gebärdensprachdolmetscher.

© Uwe Steinkrüger

Auch junge Menschen können pflegebedürftig sein

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Pflegebedürftigkeit beschränkt sich keineswegs nur auf alte Menschen. In allen Altersstufen kann Pflegebedürftigkeit vorkommen. Auch Kinder können betroffen sein. Als Beispiele für die Ursachen seien hier genannt Behinderungen aufgrund Sauerstoffmangels während der Geburt, Stoffwechselstörungen, Abbauerkrankungen der Muskulatur oder des Nervensystems sowie Missbildungen der Knochen und Gelenke. Viele der pflegebedürftigen Kinder haben bei sorgfältiger medizinischer Behandlung, umfassender Betreuung und angemessener Förderung eine Lebenserwartung von 50 und mehr Jahren. Für die Feststellung der außergewöhnlichen Pflegebedürftigkeit bleibt die altersgemäß notwendige Unterstützung außer Betracht. Das neue Begutachtungssystem ab 2017 dürfte sich positiv für pflegebedürftige Kleinkinder auswirken, da es nicht mehr auf den vermeintlichen Zeitaufwand bei der Pflege, sondern auf die Beeinträchtigung der Selbständigkeit ankommt.

Bei Kleinkindern und Schulkindern sind Unfälle, gerade auch Verkehrsunfälle, eine häufige Ursache für lebenslange Pflegebedürftigkeit. In Deutschland erleiden z.B. täglich etwa 20 Kinder Lähmungen oder bleibende Veränderungen der Persönlichkeit allein aufgrund von Verkehrsunfällen. Die Solidargemeinschaft durfte die betroffenen Familien nicht länger auf sich allein gestellt sein lassen bzw. zum Sozialamt schicken, daher wurden diese Personengruppen in den Schutz der Pflegeversicherung einbezogen.

Unfälle, und auch hier besonders Verkehrsunfälle, sind auch bei Jugendlichen und Erwachsenen häufig Ursache von Pflegebedürftigkeit. Querschnittslähmungen mit Bewegungsunfähigkeit der Beine – in schlimmeren Fällen auch der Arme – oder der Verlust von Großhirnfunktionen lösen häufig eine aufwendige und lebenslange Pflegebedürftigkeit aus. Zu Pflegebedürftigkeit mit Bettlägerigkeit und völliger Hilflosigkeit bei der Essenszubereitung und Körperpflege kommt es vielfach auch im Endstadium der Aids-Erkrankung.

Bei der älteren Generation führen vor allem akut oder chronisch auftretende Erkrankungen mit einem Teilverlust der Gehirnfunktionen am häufigsten in die Pflegebedürftigkeit. In der Bundesrepublik leben etwa 600 000 Menschen mit den Folgen eines Schlaganfalls. Jedes Jahr erkranken etwa 150 000 Menschen neu. Rund ein Viertel dieser Menschen sind nach der Entlassung aus dem Krankenhaus pflegebedürftig. Sie benötigen dauernde Hilfen oder Überwachung. Etwa die gleiche Anzahl Betroffener braucht wenigstens zeitweise Hilfen bei alltäglichen Verrichtungen.

Das Risiko der Pflegebedürftigkeit bleibt über die ersten Jahrzehnte des Lebens hinweg konstant niedrig bei etwa 0,5 bis 0,7 Prozent bis zum sechzigsten Lebensjahr. Dann wird es mit zunehmendem Alter größer: Heute sind rund 40 Prozent der Menschen über 80 Jahre pflegebedürftig.

Wie wir wissen, wird die Zahl der Menschen über 65 Jahren in den vor uns liegenden Jahrzehnten weiter zunehmen. Schon heute hat ein 65jähriger Mann noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von über 17, eine gleichaltrige Frau von rund 21 Jahren. Immer mehr Menschen werden älter als 80 Jahre und erreichen damit ein Alter mit einem hohen Risiko der Pflegebedürftigkeit. Dabei darf selbstverständlich nicht unterstellt werden, dass Alter zugleich Pflegebedürftigkeit bedeutet. Pflegebedürftigkeit auch im hohen Alter zu vermeiden und den Menschen ihre Selbstständigkeit zu erhalten, muss oberstes Ziel sein.

Welche Hilfen gewährt die Pflegeversicherung?

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Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung, sie deckt nur einen Teil der Kosten ab, die für die Pflege entstehen. Um die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern niedrig zu halten, wurden die Leistungen bei ihrer Einführung stark begrenzt. Nur so war es möglich, diese neue Sozialleistung einzuführen.

22 Jahre nach ihrer Einführung wurde die Gesetzliche Pflegeversicherung auf eine neue Grundlage gestellt. Seit 2017 erhalten erstmals alle Pflegebedürftigen einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen – unabhängig davon, ob sie an körperlichen Beschwerden leiden oder an einer Demenz erkrankt sind.

Neuerungen seit 2017

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff schafft eine fachlich gesicherte, individuelle Begutachtung und Einstufung in Pflegegrade. Die Pflegesituation von Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen – etwa bei demenziellen Erkrankungen – wird bei der Begutachtung künftig in gleicher Weise berücksichtigt wie die Pflegesituation der Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen. Mit dem neuen Begutachtungsinstrument können die Beeinträchtigungen und die vorhandenen Fähigkeiten von Pflegebedürftigen genauer erfasst und die Pflegesituation der betroffenen Person in den fünf neuen Pflegegraden zielgenauer abgebildet werden. Viele Menschen erhalten mit dem Pflegegrad 1 erstmals Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung.

Aus Pflegestufen wurden Pflegegrade

Rund 2,7 Millionen Pflegebedürftige wurden zum 1. Januar 2017 automatisch einem der neuen fünf Pflegegrade (PG) zugeordnet. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen hat man von ihrer Pflegestufe in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet. Personen mit Demenz wurden in den übernächsten Pflegegrad eingeordnet.

Leistungen bei der Pflege zuhause

Die Leistungen in der ambulanten Pflege wurden ausgeweitet und an den Bedarf angepasst. Betreuungsmaßnahmen zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Umfeld – und damit zur Entlastung der Angehörigen – wurden als Regelleistung der Pflegeversicherung eingeführt, 125 Euro pro Monat für alle Pflegegrade. Das Geld kann nur für den Einsatz anerkannter Betreuungsdienste eingesetzt werden. Oft arbeiten diese mit geschulten, ehrenamtlich tätigen Helfern. Dieser „Entlastungsbetrag“ steht als Jahresbetrag (1.500 Euro) zur Verfügung; wird er im Kalenderjahr nicht ausgeschöpft, kann der nicht verbrauchte Betrag in das folgende Kalenderhalbjahr übertragen werden.

Für die fünf Pflegegrade werden ansonsten unterschiedlich hohe Leistungen gewährt. Bei den Leistungen wird grundsätzlich danach unterschieden, ob die pflegebedürftige Person zu Hause oder in einer Einrichtung versorgt wird.

Pflegebedürftigen, die zuhause gepflegt werden, stehen Wahlmöglichkeiten zu. Im Prinzip gewährt ihnen die Pflegeversicherung einen Pflege-Etat. Wie hoch dieses Budget ist, richtet sich nach dem Pflegegrad.

Unterschieden wird zwischen

  • dem Pflegegeld für Angehörige sowie ehrenamtliche Helfer (z.B. Nachbarn) und
  • einem Zuschuss für einen Pflegedienst. (Der dafür offiziell verwendete Begriff „Sachleistung“ ist irreführend, da es sich um eine Dienstleistung handelt). Eine Auszahlung von Geld ist nicht möglich.

Leistungen von Pflegediensten

Zu den von zugelassenen professionellen Pflegediensten zu erbringenden „Sachleistungen“, zählen folgende Leistungen:

  • Körperbezogene Pflegemaßnahmen, wie etwa Körperpflege, Ernährung, Förderung der Bewegungsfähigkeit
  • Pflegerische Betreuungsmaßnahmen, zum Beispiel Hilfe bei der Orientierung, bei der Gestaltung des Alltags oder auch bei der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte
  • Häusliche Krankenpflege (nach ärztlicher Verordnung) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wie zum Beispiel Medikamentengabe, Injektionen, Verbandswechsel
  • Beratung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bei pflegerischen Fragestellungen, Unterstützung bei der Vermittlung von Hilfsdiensten wie Essensbelieferung oder Organisation von Fahrdiensten und Krankentransporten
  • Hilfen bei der Haushaltsführung, zum Beispiel Kochen oder Reinigen der Wohnung.

Die erbrachten Leistungen zur Krankenpflege werden mit der Krankenkasse abgerechnet. Das Budget für Pflegedienste wird insoweit geschont. Dies sollten die Angehörigen im Blick haben.

Pflegebedürftige können beim Einsatz von Pflegediensten zwischen Leistungen und Zeiteinheiten frei wählen. Mit dem Pflegedienst kann zum Beispiel vereinbart werden, dass die Zeit für einen Spaziergang statt zur Körperpflege genutzt werden soll.

Das Pflegegeld und die Sätze für Pflegedienste bei häuslicher Pflege werden zum 1.1.2024 und zum 1.1.2025 um jeweils 5 Prozent angehoben.

Kombinationsleistung

Aufgepasst: Pflegebedürftige im häuslichen Bereich können Pflegegeld und Zuschuss für einen Pflegedienst auch kombinieren. Nehmen sie nur einen Teil des Betrages für Pflegedienste in Anspruch, so wird ihnen ein anteiliges Pflegegeld ausgezahlt. Also: Bei 60 % Verbrauch der Pflegeleistungen gibt es noch 40 % des Pflegegeldes.

Umwandlungsanspruch

Wird der Betrag für Pflegeleistungen nicht ausgeschöpft, kann der nicht verbrauchte Betrag verwendet werden, um zusätzliche Leistungen der anerkannten Anbieter zur Unterstützung im Alltag zu bekommen – siehe „Entlastungsbetrag“. Bis zu 40 Prozent des jeweiligen ambulanten Sachleistungsbetrags können auf diese Weise umgewandelt werden.

Beratung zuhause

Die Leistungen für die häusliche Pflege wurden in den zurückliegenden Jahren stark ausgeweitet. Damit das Geld möglichst optimal für die Pflegebedürftigen eingesetzt wird, hat man auch die Beratungsangebote ausgebaut. Angehörige unterschätzen nicht selten die mit der Pflege verbundenen Belastungen oder überschätzen ihre pflegerischen Kenntnisse. Deshalb wurden für Pflegebedürftige, die ausschließlich durch Angehörige gepflegt werden, sogar Pflichtberatungen eingeführt. Pflegebedürftige, die ausschließlich Pflegegeld beziehen, müssen in den Pflegegraden 2 und 3 einmal pro Halbjahr sowie in den Pflegegraden 4 und 5 einmal pro Quartal eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit in Anspruch nehmen.

Hilfsmittel zur Pflege

Die Pflegekasse stellt (in der Regel leihweise) technische Hilfsmittel zur Verfügung, z.B. Pflegebetten oder Badewannenlifter. Die Prüfung des Bedarfs obliegt der Pflegekasse unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes. Eine ärztliche Verordnung ist nicht erforderlich. Auch Verbrauchsmittel wie zum Beispiel saugende Bettschutzeinlagen, Schutzbekleidung wie Fingerlinge oder Einmalhandschuhe, Mundschutz, Schutzschürzen und Desinfektionsmittel werden bis zum Wert von 40 Euro pro Monat gestellt. Tipp für Angehörige: Sprechen Sie das Thema beim Besuch des Medizinischen Dienstes an!

Die Empfehlungen des Gutachters für Hilfsmittel sind maßgebend und gelten, wenn der Pflegebedürftige einverstanden ist, bereits als Antrag. Dieses neue Verfahren dient der Beschleunigung und Entbürokratisierung.

Aus dem gleichen Grund können seit Anfang 2022 auch Pflegefachkräfte eine schriftliche Empfehlung für die Hilfsmittel- bzw. Pflegehilfsmittelversorgung ausstellen (Richtlinie der Gesetzlichen Krankenversicherungen, GKV). Sie wird in der Regel durch die Krankenkasse akzeptiert, wenn das Hilfsmittel zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung von Beschwerden beiträgt oder der pflegebedürftigen Person eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht.

Aufgepasst: Bei einer Reihe von Hilfsmitteln und Verbrauchsstoffen kommt vorrangig eine Leistungspflicht der Krankenkasse und nicht der Pflegekasse in Betracht. Diese Hilfsmittel werden vom Arzt zu Lasten der Krankenkasse verordnet (z.B. Gehhilfen, Rollstühle, orthopädische Schuhe, Lichtklingel für Gehörlose). Für sie gilt die Grenze von 40 Euro nicht, wohl aber gelten die üblichen Zuzahlungsregelungen, inklusive der Befreiungsmöglichkeit. In diesen Fällen können die oben genannten Verbrauchsmittel zur Pflege zusätzlich abgerufen werden!

Verbesserungen in der Wohnung

Wenn ein Pflegebedürftiger oder jemand, der in seiner Alltagskompetenz dauerhaft erheblich eingeschränkt ist, zu Hause gepflegt und betreut wird, kann es hilfreich sein, das Wohnumfeld an die besonderen Belange des Pflege- oder Betreuungsbedürftigen individuell anzupassen. Hierfür gewährt die Pflegeversicherung einen Zuschuss von bis zu 4.000 Euro. Sofern mehrere Betroffene zusammenwohnen, vervielfacht sich der Betrag (bis zum Vierfachen).

Verhinderungspflege

Macht die private Pflegeperson Urlaub oder ist sie durch Krankheit vorübergehend an der Pflege gehindert, übernimmt ab Pflegegrad 2 die Pflegeversicherung für bis zu 42 Tage im Jahr die Kosten einer Verhinderungspflege, auch Ersatzpflege genannt. Dafür gibt es 1.612 Euro pro Jahr, bis zu 6 Wochen pro Kalenderjahr sind möglich. Außerdem können bis zu 806 Euro des nicht benötigiten Betrages der Kurzzeitpflege zusätzlich für Verhinderungspflege ausgegeben werden. Sie kann dadurch auf maximal 2.418 Euro ausgeweitet werden. Der für die Verhinderungspflege in Anspruch genommene Erhöhungsbetrag wird auf den Leistungsbetrag für eine Kurzzeitpflege angerechnet. Wenn nahe Angehörige die Ersatzpflege wahrnehmen, werden die Zahlungen auf den 1,5-fachen Betrag des Pflegegeldes beschränkt. Fahrtkosten und Verdienstausfälle können erstattet werden. Bei tageweiser Verhinderungspflege wird das Pflegegeld um 50 Prozent gekürzt.

Die Verhinderungspflege kann auch in einem Heim durchgeführt werden. Dann erhöht sich das Budget für Kurzzeitpflege. Allerdings fallen in einem Heim hohe Eigenanteile an, die das Sozialamt nicht übernimmt.

Muss die Pflegeperson an einer Maßnahme der stationären Rehabilitation teilnehmen, gibt es besondere Hilfen durch die Pflegekasse. Eine neu geschaffene Möglichkeit ist, dass die pflegebedürftige Person in diesem Zeitraum innerhalb der Reha-Einrichtung gepflegt wird. Hier sollte man sich beraten lassen.

Kurzzeitpflege

Viele Pflegebedürftige sind nur für eine begrenzte Zeit auf vollstationäre Pflege angewiesen, insbesondere zur Bewältigung von Krisensituationen bei der häuslichen Pflege oder übergangsweise im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt. Für sie gibt es die Kurzzeitpflege in entsprechenden stationären Einrichtungen. Die Leistung beträgt bis zu 1.774 Euro für die Kosten einer notwendigen Ersatzpflege bis zu 4 Wochen. Personen mit dem Pflegegrad 1 können den Betreuungsbetrag in Höhe von 125 Euro pro Monat, also bis zu 1.500 Euro im Jahr, einsetzen, um Leistungen der Kurzzeitpflege zu nutzen.

Die während der Kurzzeitpflege entstehenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten muss der Pflegebedürftige grundsätzlich selbst tragen. Eine Teilerstattung durch die Pflegekasse ist möglich. Auch kann man nicht genutzten Betreuungsbetrag einsetzen. Wichtig ist, vorher mit der Einrichtung die Höhe des Eigenanteils zu klären.

Der im Kalenderjahr bestehende, noch nicht verbrauchte Leistungsbetrag für Verhinderungspflege kann auch für Leistungen der Kurzzeitpflege eingesetzt werden. Dadurch kann der Leistungsbetrag der Kurzzeitpflege auf 3.386 Euro erhöht werden; parallel kann auch die Zeit für die Inanspruchnahme von 4 auf bis zu 8 Wochen ausgeweitet werden. Der für die Kurzzeitpflege in Anspruch genommene Erhöhungsbetrag wird auf den Leistungsbetrag für eine Verhinderungspflege angerechnet.

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Teilstationäre Leistungen (Tages- oder Nachtpflege)

Wenn eine pflegebedürftige Person im Tagesverlauf zeitweise in einer Einrichtung betreut wird (Tages- oder Nachtpflege) und den Rest des Tages in der eigenen Wohnung bzw. bei der Pflegeperson verbringt, so handelt es sich um eine teilstationäre Versorgung. Hierfür gewährt die Pflegeversicherung ebenfalls Leistungen.

Die Sätze entsprechen denen für einen ambulanten Pflegedienst. Neben den Leistungen der Tages- und Nachtpflege können der Zuschuss für den Pflegedienst bzw. das Pflegegeld ungekürzt in Anspruch genommen werden.

Leistungen bei Pflege im Heim

Auch in Pflegeheimen brachte die Pflegereform 2017 Verbesserungen für alle Pflegebedürftigen. Seit 2017 gilt in jeder vollstationären Pflegeeinrichtung ein einheitlicher Eigenbetrag für den pflegebedingten Teil der Kosten. Dieser steigt künftig nicht mehr mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Außerdem erhalten alle Pflegebedürftigen einen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsangebote in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen. Die Finanzierung erfolgt durch die Gesetzliche Pflegeversicherung.

Bei der Pflege im Heim fallen für die Pflegebedürftigen zusätzlich zum pflegebedingten Eigenanteil stets weitere Kosten an: Hierzu zählen Kosten für die Unterbringung und Verpflegung. Auch müssen Bewohnerinnen und Bewohner einer Einrichtung gegebenenfalls anteilig gesondert berechenbare Investitionskosten übernehmen. Hierbei handelt es sich um Ausgaben des Betreibers für Anschaffungen, Gebäudemiete und Ähnliches, die auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden können. Wenn die Heimbewohnerin oder der Heimbewohner zudem besondere Komfort- oder Zusatzleistungen in Anspruch nimmt, müssen diese ebenfalls privat bezahlt werden. Da die Kosten für Verpflegung, Unterkunft, Investitionen und Komfortleistungen je nach Einrichtung sehr unterschiedlich ausfallen können, ist es sehr wichtig, sich darüber bei der Auswahl eines Heims gut zu informieren.

Soziale Absicherung der Pflegepersonen

Pflegende Angehörige sind das mit Abstand größte und damit wichtigste Pflegeteam in Deutschland. Um Ihre Motivation zu stärken und ihre Leistung anzuerkennen, wurde ihre soziale Absicherung verbessert.

Wer nicht erwerbsmäßig eine oder mehrere pflegebedürftige Personen der Pflegegrade 2 bis 5 in ihrer häuslichen Umgebung für wenigstens zehn Stunden wöchentlich und an mindestens zwei Tagen in der Woche pflegt, hat Ansprüche auf Leistungen zur sozialen Sicherung. Hierbei handelt es sich um Leistungen in Bezug auf die Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung.

Zusätzliche Leistungen bei Wohngruppen

Neue Wohnformen, unter anderem Senioren-Wohngemeinschaften sowie private Pflege-Wohngemeinschaften, bieten die Möglichkeit, zusammen mit Frauen und Männern in derselben Lebenssituation zu leben und Unterstützung zu erhalten – ohne auf Privatsphäre und Eigenständigkeit zu verzichten. Die Pflegeversicherung gewährt bei den Pflegegraden 1 bis 5 einen Wohngruppenzuschlag von 214 Euro im Monat sowie einen „Gründungszuschuss“ von 2.500 Euro.

Taxifahrt zum Arzt

Für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 3, wenn sie dauerhaft in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, und für alle Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 4 oder 5 sowie für Menschen mit Behinderungen mit dem Eintrag „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), „Bl“ (blind) oder „H“ (hilflos) in ihrem Schwerbehindertenausweis werden Taxifahrten zu einer Behandlung einfacher. Sie gelten mit der ärztlichen Verordnung als genehmigt.

Angesichts der Vielzahl von Leistungen und Regelungen, die hier nur zusammengefasst in Form einer Übersicht wiedergegeben werden können, empfiehlt es sich in jedem Fall, die Beratung der jeweiligen Pflegekasse in Anspruch zu nehmen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass der Reha-Einkaufsführer für die vorgestellten Leistungen angesichts der komplizierten Voraussetzungen keine Gewähr übernehmen kann.

Rentenversicherung

Die Pflegeversicherung zahlt Beiträge zur Rentenversicherung, wenn

  • die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist,
  • sie noch keine Vollrente wegen Alters bezieht und
  • die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht erreicht hat.

Die Pflegeversicherung zahlt die Beiträge ein, als würden die Pflegepersonen zwischen 641,66 und 3.395 Euro (alte Bundesländer) bzw. 621,81 und 3.290 Euro (neue Bundesländer) monatlich als Lohn erhalten. Ein Jahr Pflegetätigkeit kann zu einem monatlichen Rentenanspruch von maximal 34,01 Euro (West) bzw. 33,41 Euro (Ost) führen. Unterschieden wird, ob Pflegegeld (PG), Kombinationsleistung (KL) oder die komplette Sachleistung (SL) bezogen wird. Einzelheiten siehe Tabelle.

Beispiel:

Eine Pflegeperson, die einen Angehörigen mit Pflegegrad 3 ohne einen Pflegedienst pflegt, bekommt für ein Jahr Pflegetätigkeit im Alter 14,63/14,37 Euro mehr Rente im Monat (West/Ost).

Tipp: Da die Pflege von Angehörigen besonders belastend ist und auf Dauer an den Kräften zehrt, sollten in Vollzeit erwerbstätige Pflegepersonen darüber nachdenken, ob sie von diesen Anreizen Gebrauch machen wollen und ihre Stundenzahl auf 30 oder niedriger senken, um von den Rentenzuschüssen zu profitieren und ihre Gesundheit zu schonen.

Voraussetzungen:

    • Nicht erwerbsmäßige Pflege einer oder mehrerer pflegebedürftiger Personen in häuslicher Umgebung mit mindestens Pflegegrad 2 im Umfang von wenigstens zehn Stunden wöchentlich, an regelmäßig mindestens zwei Tagen in der Woche, wenn die Pflegeperson keiner Beschäftigung von über 30 Stunden wöchentlich nachgeht und sie noch keine Vollrente wegen Alters bezieht.
Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung beträgt seit 1.1.2018 18,6 %. Das monatliche Durchschnittseinkommen (Fachbegriff „Bezugsgröße“) beträgt 2023 in der gesetzlichen Rentenversicherung 3.395 € (West) bzw. 3.290 € (Ost). Es entspricht dem Durchschnittsentgelt der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem vorvergangenen Kalenderjahr. Für jedes Jahr mit Durchschnittsverdienst im Erwerbsleben einer Person (= 1,0 Rentenpunkt) gibt es im Jahr 2023 eine Rente von 34,01 € bzw. 33,41 € („Punktwert“).

Pflegezeit

Im Rahmen der „Familienpflegezeit“ können Beschäftigte, die einen nahen Angehörigen pflegen, eine teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung bei entsprechend reduziertem Gehalt für bis zu 24 Monate erhalten. Dieser Anspruch gilt nur gegenüber Arbeitsgebern ab 25 Beschäftigten (ohne Azubis).

Im Rahmen der „Pflegezeit“ können Pflegepersonen, die einen minderjährigen Angehörigen oder eine Angehörigen in der letzten Lebensphase pflegen, von ihrem Arbeitgeber für bis zu sechs Monate eine teilweise oder vollständige Reduzierung ihrer Arbeitszeit (ohne Lohnausgleich) verlangen. Der Anspruch gilt nur gegenüber Arbeitgebern ab 15 Beschäftigten.

Für Pflegepersonen, die aus dem Beruf aussteigen, um sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, bezahlt die Pflegeversicherung seit dem 1. Januar 2017 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die gesamte Dauer der Pflegetätigkeit.

Arbeitnehmer, die gemäß Pflegezeitgesetz von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt wurden oder deren Arbeitsverhältnis durch Reduzierung der Arbeitszeit zu einer geringfügigen Beschäftigung wird, erhalten auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung, soweit im Einzelfall keine beitragsfreie Familienversicherung möglich ist.

Pflegeunterstützungsgeld

Für kurzzeitige Arbeitsverhinderung haben Beschäftigte, die für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber und kein Kranken- oder Verletztengeld bei Erkrankung oder Unfall eines Kindes beanspruchen können, nach dem Pflegezeitgesetz Anspruch auf einen Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt (Pflegeunterstützungsgeld) für bis zu insgesamt 10 Arbeitstage während der gesamten Pflegebedürftigkeit (ab 1.1.2024 10 Tage pro Kalenderjahr). Die pro pflegebedürftige Person gewährten 10 Arbeitstage können auf mehrere pflegende Angehörige aufgeteilt werden. Es bleibt aber bei 10 Tagen insgesamt. Der Antrag auf Pflegeunterstützungsgeld muss so schnell wie möglich zusammen mit einer ärztlichen Bescheinigung bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen eingereicht werden.

Leistung: 90% des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt der Versicherten; 100% des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts aus beitragspflichtigem einmaligem Einkommen in den letzten 12 Monaten. Kappung auf 70% der Beitragsbemessungsgrenze.

Wie bekomme ich Hilfe von der Pflegeversicherung?

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Leistungen der Pflegekassen können nur gewährt werden, wenn die versicherte Person (bzw. ein bevollmächtigter Angehöriger) bei ihrer Pflegeversicherung einen Antrag eingereicht hat. Zuständig ist die Krankenkasse, bei der die pflegebedürftige Person versichert ist.

Wichtig: Leistungen der Pflegekassen können nicht rückwirkend gewährt werden. Der Antrag sollte deshalb umgehend bei Eintritt des Hilfebedarfs eingereicht werden.

Die Pflegekasse beauftragt dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen für Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Grad der Pflegebedürftigkeit vorliegt. Ein Gutachter des MDK untersucht dazu die Person in ihrer Wohnung bzw. im Heim. Die Feststellungen des Gutachters gelten rückwirkend für den Zeitpunkt der Antragstellung. Das Gutachten muss innerhalb von fünf Wochen erstellt werden.

Das neue Begutachtungssystem

Die Maßstäbe für die Begutachtung pflegebedürftiger Menschen wurden 2017 durch ein vollkommen neues System abgelöst.

Das neue System der Begutachtung soll den Grad der Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person in verschiedenen Bereichen feststellen. Daraus ergibt sich dann die Einstufung in einen Pflegegrad.

Der Gutachter bzw. die Gutachterin des Medizinischen Dienstes wird beobachten, wie selbstständig jemand ist und welche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten vorliegen. Das geschieht in der Regel bei einem vereinbarten Hausbesuch. Hierbei werden die Fähigkeiten der Menschen in den folgenden acht Lebensbereichen begutachtet:

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1. Mobilität:

Körperliche Beweglichkeit, z.B., ob die Person allein aufstehen und vom Bett ins Badezimmer gehen kann oder ob sie sich selbständig im Wohnbereich fortbewegen und Treppen steigen kann.

2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten:

Verstehen und Reden, z.B., ob die Person sich zeitlich und räumlich orientieren kann, ob sie Sachverhalte versteht, Risiken erkennen und Gespräche mit anderen Menschen führen kann.

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen:

Hierunter fallen unter anderem Unruhe in der Nacht oder Ängste und Aggressionen, die für die pflegebedürftige Person und andere belastend sind, aber auch die Abwehr pflegerischer Maßnahmen.

4. Selbstversorgung:

Z.B. inwieweit sich die Person selbständig waschen, ankleiden, die Toilette aufsuchen, sowie essen und trinken kann.

5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen oder Belastungen:

Z.B., ob die Person die Fähigkeit hat, Medikamente selbst einzunehmen, Blutzuckermessungen selbst durchzuführen, zu deuten, ob sie mit Hilfsmitteln wie Prothesen oder einem Rollator zurechtkommt und den Arzt aufsucht.

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte:

Z.B. die Fähigkeit, den Tagesablauf selbständig zu gestalten, mit anderen Menschen in direkten Kontakt zu treten oder ein Treffen ohne Hilfe zu besuchen.

Die nachfolgenden Module 7 und 8 werden nicht für die Einstufung der Pflegebedürftigkeit herangezogen. Sie ermöglichen, die Pflegebedürftigen in Bezug auf weitere Angebote oder Sozialleistungen zu beraten oder einen individuellen Versorgungsplan zu erstellen. Für die Pflegekräfte enthalten sie Informationen für eine individuellere Pflegeplanung.

7. Außerhäusliche Aktivitäten:

In diesem Feld wird erhoben, ob sich die Person selbständig im öffentlichen Raum bewegen, an Veranstaltungen teilnehmen und welche Transportmittel sie selbständig nutzen kann.

8. Haushaltsführung:

In diesem Modul wird die Selbständigkeit bei Tätigkeiten wie Einkaufen, Behördengänge oder der Regelung finanzieller Angelegenheiten ermittelt.

Erst aufgrund einer Gesamtbewertung aller Fähigkeiten und Beeinträchtigungen erfolgt die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade. In den einzelnen Modulen bzw. Lebensbereichen werden für jedes erhobene Kriterium je nach Schweregrad der Beeinträchtigungen Punkte vergeben, zusammengezählt und gewichtet. Denn die Module fließen unterschiedlich gewichtet in die Gesamtwertung ein: „Selbstversorgung“ mit 40 Prozent, „Bewältigung von und Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen“ mit 20 Prozent, „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“ mit 15 Prozent und „Mobilität“ mit 10 Prozent.

Eine Besonderheit betrifft die beiden Module „kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ und „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“: Hier fließt der jeweils höhere Punktwert in die Gesamtwertung ein, der mit 15 Prozent gewichtet wird. Aus dem Gesamtpunktwert wird der Pflegegrad abgeleitet.

Erfahrungsgemäß neigen viele Pflegebedürftige dazu, im Gespräch mit dem Gutachter ihre Fähigkeiten besser darzustellen als sie in Wirklichkeit sind. Vielleicht weil sie sich schämen oder weil sie befürchten, ihre vertraute Umgebung verlassen zu müssen. Vielen Menschen, die ihr Leben gut gemeistert haben, fällt es sehr schwer, im Alter Hilfe anzunehmen – ganz besonders im persönlichen und intimen Bereich. Deshalb unser Tipp: Pflegende Angehörige sollten beim Besuch des Gutachters unbedingt anwesend sein und ihn über den tatsächlichen Hilfebedarf informieren.

Sehr häufig sind Pflegebedürftige körperlich zwar noch in der Lage, einzelne Tätigkeiten (z.B. Kämmen oder Waschen) auszuführen, aufgrund Abbaus der geistigen Fähigkeiten tun sie es aber nicht oder nicht richtig. Auch auf solche Umstände müssen Angehörige den Gutachter hinweisen.

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Wie wir wissen, nehmen mit fortschreitendem Alter der Pflegebedürftigen die körperlichen und geistigen Kräfte weiter ab. Von daher folgender wichtiger Hinweis:

Beizeiten sollten die Pflegebedürftigen die Angehörigen ihres Vertrauens umfassend schriftlich bevollmächtigen, in ihrem Namen alle Angelegenheiten der Pflege- und Krankenversicherung wahrnehmen zu dürfen. Wenn eine solche Vollmacht nicht vorliegt und die pflegebedürftige Person so stark geistig abbaut, dass sie diese Angelegenheiten nicht mehr nachvollziehen kann, muss unter Umständen vom zuständigen Amtsgericht eine gesetzliche Vertretung („Betreuung“) angeordnet werden, siehe dazu „Selbstbestimmt statt bevormundet.“.

Die Pflegeversicherung. Gut, dass es sie gibt!

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Wir wollen alt werden, aber nicht alt sein. Mit diesem Wort wird ein Dilemma beschrieben. Jeder Mensch möchte ein hohes Alter erreichen. Dank der guten medizinischen Versorgung, den allgemein guten hygienischen und Wohnverhältnissen sowie der ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln steigt in den Industrienationen der Anteil alter Menschen seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Mehr als 15 Millionen Menschen in Deutschland sind über 66 Jahre alt. Nach Vorhersagen soll diese Zahl bis 2040 auf rund 21,5 Millionen Menschen steigen. Diese an sich erfreuliche Entwicklung hat allerdings eine negative Begleiterscheinung: Im hohen Alter nimmt der Hilfebedarf zu, ab 80 Jahren sogar rapide. Immer mehr Menschen in Deutschland werden daher pflegebedürftig.

Früher war Pflegebedürftigkeit weitgehend eine Angelegenheit, mit der die Familie allein klarkommen musste. Heute haben wir in Deutschland und anderen Industrieländern allerdings eine andere Familienstruktur als noch vor 80 Jahren. Die Menschen haben weniger Kinder, die sich um sie kümmern können, und nicht selten leben die Kinder in einer anderen Region. Sind die pflegebedürftigen Eltern weit über 80, haben die Kinder oft bereits selbst die 60 überschritten und sind bei allem guten Willen vielfach nicht in der Lage, die Pflege ohne Hilfe zu „stemmen“.

Betroffene und Angehörige empfinden den „Pflegefall“ daher oft als einen Schicksalsschlag. Nichts ist mehr wie vorher! Hinzu kommt die seelische Belastung. Einen nahestehenden Menschen dauerhaft hilfebedürftig zu sehen, das geht an die Substanz. Schwer zu verkraften ist es auch, miterleben zu müssen, wie sich bei einem nahestehenden Menschen die Persönlichkeit immer mehr verändert. Es ist nicht mehr der Mensch, wie er immer war. Wir haben erkannt: Pflegebedürftigkeit ist ein Lebensrisiko, das jede Familie treffen kann.

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Nach langen und heftigen politischen Diskussionen wurde 1995 die Gesetzliche Pflegeversicherung als Pflichtversicherung eingeführt. Sie nimmt den Betroffenen bei weitem nicht alles ab, aber sie hilft bei den zahlreichen Aufwendungen, die bei einer Pflegebedürftigkeit anfallen – sei es im häuslichen Bereich, sei es in einem Heim.

Ziel der gesetzlichen Regelungen war es stets, den Pflegebedürftigen möglichst lange ein Leben in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen. Dafür sprechen nachvollziehbare menschliche, aber auch finanzielle Gründe. Immerhin werden aktuell rund 82 Prozent der Betroffenen häuslich gepflegt, 18 Prozent leben in einem Pflegeheim. Noch eine Zahl ist beeindruckend: 63 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause ausschließlich durch Angehörige versorgt.

Inzwischen erhalten 4,6 Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. Anfangs wurden bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit ausschließlich körperliche Defizite zugrunde gelegt und vorwiegend körperbezogene Hilfen gewährt. Obwohl damals schon Demenz ein Thema war, klammerte die Politik geistige und psychische Defizite bei der Einstufung bewusst aus. Auch waren die Leistungen stets „gedeckelt“. Absicht war, die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für die Pflegeversicherung in einem gewissen Rahmen zu halten. Ohne diese Einschränkungen hätte es damals für die Einführung dieser Versicherung wohl keine Mehrheit im Parlament gegeben. In der Folge beschränkte sich die Unterstützung durch die Pflegeversicherung im Wesentlichen auf die „Verrichtungen des täglichen Lebens“. Damit waren gemeint Körperpflege, Toilettenversorgung, Ankleiden, Nahrungsaufnahme, Bettlagerung. Ausdrücklich hieß es, dass Beaufsichtigung, Förderung und soziale Betreuung nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Pflegeversicherung gehören.

In den letzten fünfzehn Jahren etwa kam es hier zu einem grundlegenden Wandel. Infolge der zunehmenden Hochaltrigkeit ist der Anteil dementer Menschen an den Pflegebedürftigen weiter stark angestiegen. Inzwischen gelten 1,7 Millionen Menschen in Deutschland als dement. Medizinische Hilfen können unseren Körper oft länger fit halten als unser Hirn. Demenz ist darum seit Jahren ein Thema in den Familien, in den Heimen und Kliniken und sie wird in der breiten Öffentlichkeit, nicht zuletzt in Fernsehberichten und sogar Spielfilmen eindrucksvoll thematisiert.

Pflegeversicherung 2.0

Die Politik geriet immer mehr in Zugzwang, denn angesichts der massiven Hilfebedürftigkeit dementer Menschen konnte man hier nicht länger wegschauen. Als erste Maßnahme führte man ergänzende Leistungen für „Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz“. Auch Elemente von Betreuung wurden allmählich in den Leistungskatalog aufgenommen.

Schließlich setzte sich auch in der Politik die Erkenntnis durch, dass es bei der Pflegebedürftigkeit keine Unterscheidung mehr hinsichtlich der Ursachen geben darf. Körperliche, geistige oder psychische Ursachen sollen gleichrangig berücksichtigt werden.

Im November 2015 – also gut 20 Jahre nach dem Inkrafttreten der Versicherung – beschloss der Deutsche Bundestag dann mit dem „Zweiten Pflegestärkungsgesetz“ endlich grundlegende Änderungen bei der Pflegeversicherung. Darin ist festgelegt, Pflegebedürftigkeit neu zu definieren.

Der frühere Pflegebedürftigkeitsbegriff war zu stark an körperlichen Einschränkungen orientiert. Der Betreuungsbedarf geistig beeinträchtigter Menschen blieb weitgehend unberücksichtigt. Die Begutachtung war defizit- und nicht teilhabeorientiert. Der Pflegebedarf war verrichtungsbezogen definiert, der Objektivität vortäuschende zeitliche Bedarf taugte nicht als Messinstrument.

Das geänderte Gesetz beinhaltet vor allem einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und führt ein neues Instrumentarium für die Begutachtung ein. Die unterschiedliche Bewertung von körperlichen Einschränkungen einerseits und geistigen sowie psychisch verursachten Einschränkungen andererseits gehört endlich der Vergangenheit an. Es wird nur noch darauf abgestellt, welche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten bei den betroffenen Menschen vorliegen.

Definition der Pflegebedürftigkeit

  • Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit und Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen.
  • Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Belastungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können.
  • Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate bestehen.

Neuer Maßstab für Pflegebedürftigkeit

  • Grad der Selbstständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten oder Gestaltung von Lebensbereichen
  • Abhängigkeit von personeller Hilfe
  • nicht nur bei einigen Verrichtungen der Grundpflege
  • sondern in allen relevanten Bereichen der elementaren Lebensführung
  • Grad der Selbstständigkeit statt Zeitaufwand

Seit 1. Januar 2017 gibt es fünf Pflegegrade, die für alle Pflegebedürftigen unabhängig von der Art ihrer Beeinträchtigung gleichermaßen gelten.

Im Rahmen dieser Publikation ist nur eine Übersicht über die zahlreichen Regelungen und Leistungen möglich. Empfehlenswert ist der „Ratgeber Pflege“, zu beziehen bei:
www.bundesgesundheitsministerium.de. Hilfreich für betroffene Familien ist auch der „Ratgeber Demenz“, ebenfalls dort zu beziehen oder herunterzuladen. Betroffene und Ihre Angehörigen sollten auf jeden Fall die Beratungsangebote durch die Pflegekassen nutzen.

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